Sekundären Pflanzenstoffe in der Forschung
Lange Zeit interessierten sich Ernährungswissenschaftler und Mediziner nur für die Nahrungsinhaltsstoffe, die Energie liefern oder den Stoffwechsel steuern, also für Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße, Vitamine und Mineralstoffe. Doch immer mehr internationale Studien der letzten 20 Jahre kamen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass Menschen, die viel Obst und Gemüse verzehren, seltener an Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Adipositas, rheumatoider Arthritis und anderem mehr erkranken. So essen Italiener und Griechen fast dreimal so viel Gemüse wie Deutsche. Gleichzeitig ist die Anzahl der Krebserkrankungen in Südeuropa geringer als in Nord- und Mitteleuropa. Allein mit den bekannten Nährstoffen ließen sich diese Beobachtungen nicht erklären. Die Wissenschaftler folgerten, dass andere Faktoren einer pflanzenreichen Ernährung für den günstigen Einfluss mitverantwortlich sein müssen. Dies brachte die Experten auf die Spur der sekundären Pflanzenstoffe.
Sekundäre Pflanzenstoffe kommen nicht nur in Gemüse und Obst vor
Bei den sekundären Pflanzenstoffen handelt es sich chemisch betrachtet um ganz unterschiedliche Verbindungen. Aufgrund ihrer Struktur und Eigenschaften lassen sie sich in verschiedene Gruppen einteilen: Polyphenole, Carotinoide, Phytoöstrogene, Glucosinolate, Sulfide, Monoterpene, Saponine, Protease-Inhibitoren, Phytosterine und Lektine. Einige Pflanzenstoffe, zum Beispiel Phytinsäure oder der Farbstoff Chlorophyll, lassen sich keiner Gruppe zuordnen.
Sekundäre Pflanzenstoffe finden sich in allen pflanzlichen Lebensmitteln, also nicht nur in Gemüse und Obst, sondern auch in Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und Kartoffeln. Sie umfassen eine Vielzahl von Subtanzen, die meist nur in geringen Mengen vorliegen, aber wichtige Aufgaben in den Pflanzen erfüllen: Als Farbstoffe von bunten Blüten locken sie Insekten an, die für die Bestäubung der Pflanzen zuständig sind. Als Farb- und Geschmacksstoffe in Früchten sorgen sie dafür, dass diese von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden und sich die Samen so weiter verbreiten können. Andere Stoffe wiederum schützen die Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten oder regulieren ihr Wachstum. Bislang sind etwa 100.000 verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe bekannt, wobei 5.000 bis 10.000 in der menschlichen Nahrung vorkommen. Im Weißkohl wurden beispielsweise 49 verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe gefunden.
Bunte Pflanzenstoffe mit Wirkung
Pflanzen, die reich an Carotinoiden sind, fallen beispielsweise durch ihre gelb-rote Farbe auf wie Möhren oder Kürbis. Aber auch hinter der grünen Farbe von Spinat oder Grünkohl verbergen sich die orangen Substanzen. Glucosinolate – auch Senföle genannt – kommen ausschließlich in der Pflanzenfamilie der Kreuzblütler vor. Dazu gehören alle Kohlsorten wie Weißkohl, Blumenkohl, Brokkoli, Kohlrabi oder Rosenkohl, aber auch Meerrettich, Kresse oder Senf. Phytoöstrogene sind vor allem in ballaststoffreichen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten und Getreide zu finden. Polyphenole kommen in fast allen Pflanzen vor. Zwei große Untergruppen stellen die Phenolsäuren und die Flavonoide dar. Phenolsäuren sind auch als Gerbsäuren bekannt und geben Walnüssen, Trauben und schwarzem Tee ihren teilweise herben Geschmack. Insgesamt liefern alle pflanzlichen Lebensmittel verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe in unterschiedlichen Anteilen.
Gute Quellen für sekundäre Pflanzenstoffe
Carotinoide: Karotten, Tomaten, Paprika, Spinat, Grünkohl, Melonen, Kürbis
Phytosterine: Nüsse, Sonnenblumenkerne, Sesam, Soja, Hülsenfrüchte
Saponine: Hülsenfrüchte, Soja, Spargel, Hafer
Glucosinolate: alle Kohlarten, Rettich, Radieschen, Kresse, Senf
Flavonoide: Äpfel, Birnen, Trauben, Kirschen, Zwetschken, Beerenobst, Zwiebel, Grünkohl, Soja, schwarzer und grüner Tee
Phenolsäuren: Kaffee, Tee, Vollkornprodukte, Wein, Nüsse
Monoterpene: Minze, Zitronen, Kümmel
Phytoöstrogene: Getreide, Hülsenfrüchte, Sojabohnen, Leinsamen
Sulfide: Zwiebel, Lauch, Knoblauch, Schnittlauch, Bärlauch
Zufuhrempfehlung unbekannt
Mischköstler nehmen täglich bis zu 1,5 Gramm sekundäre Pflanzenstoffe auf. Bei Vegetariern ist die Menge oftmals deutlich höher. Wie hoch die optimale Zufuhrmenge sein sollte, lässt sich noch nicht abschätzen. Der aktuelle Forschungsstand reicht nicht aus, um konkrete Empfehlungen für einzelne sekundäre Pflanzenstoffe abzuleiten. Zudem ist über die Bioverfügbarkeit, also wie gut die Substanzen aus Lebensmitteln vom Körper aufgenommen werden, noch wenig bekannt. Die Zubereitung von Lebensmitteln kann die Bioverfügbarkeit bestimmter Stoffe erhöhen beziehungsweise mindern. So werden die Carotinoide Beta-Carotin und Lykopin aus erhitzten Möhren und Tomaten besser vom Körper aufgenommen als aus rohen. Andererseits können beim Garen in Wasser bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe verloren gehen. Zum Beispiel sind Glucosinolate, Phenolsäuren und Protease-Inhibitoren hitzeempfindlich.
Sekundäre Pflanzenstoffe sind Schutzstoffe für den Körper
Sekundäre Pflanzenstoffe zählen nach bisherigen Erkenntnissen für den Menschen nicht zu den zufuhrnotwendigen (essenziellen) Nährstoffen. Sie beeinflussen aber zahlreiche Stoffwechselprozesse. Deshalb werden ihnen verschiedene gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele experimentellen Studien vor allem im Tiermodell durchgeführt, um mögliche Wirkungen von sekundären Pflanzenstoffen zu untersuchen. Einzelne Gruppen wirken antioxidativ, entzündungshemmend oder haben antibakterielle Eigenschaften. Andere beugen dem Verklumpen des Blutes vor (antithrombotisch), senken den Cholesterinspiegel oder den Blutdruck. Zusätzlich belegen heute zahlreiche Ergebnisse aus epidemiologischen Studien, also Studien, bei denen die Teilnehmer ausschließlich beobachtet wurden, dass sekundäre Pflanzenstoffe verschiedene Krankheiten vorbeugen. Da die Zufuhr in der Regel über herkömmliche Lebensmittel erfolgte, lässt sich jedoch nicht sagen, ob die günstigen Effekte auf einzelnen Verbindungen oder auf den vielen verschiedenen Nährstoffen basieren, die in Pflanzen vorkommen. Um das sagen zu können, wären Interventionsstudien mit isolierten sekundären Pflanzenstoffen notwendig, von denen es bisher nur wenige gibt.
Polyphenole beispielsweise entfalten in vitro, also im Reagenzglas, eine starke antioxidative Wirkung und schützen die Zellen so vor dem Angriff durch freie Radikale. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Arteriosklerose. Eine an Polyphenolen reiche Ernährung reduziert das Risiko für chronische Krankheiten, insbesondere für Herz-Kreislauferkrankungen. Mit der Nahrung zugeführte Flavonoide sind mit einem geringeren Risiko für Krebserkrankungen verbunden. Dabei spielen allerdings auch immer Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Bewegung und das Vorliegen von Übergewicht oder Adipositas eine Rolle. Daten aus epidemiologischen Studien deuten auf schützende Effekte der Glucosinolate hinsichtlich Prostata-, Darm- und Lungenkrebs hin. Und eine Ernährung reich an Carotinoiden wie Beta-Carotin, Lykopin, Lutein und Zeaxanthin, reduziert das Risiko für Speiseröhrenkrebs.
Zufuhr sekundärer Pflanzenstoffe mit einer gemischten Kost (ohne Supplemente)
Gruppe | Gruppe Geschätzte durchschnittliche Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen [mg/Tag] |
---|---|
Flavonoide | 50 – 200 |
Phenolsäuren | 200 – 300 |
Carotinoide | 5 – 6 |
Phytoöstrogene | < 5 |
Glucosinolate | knapp 15 |
Sulfide | nicht bekannt |
Monoterpene | < 2 |
Saponine | < 15 |
Phytosterole | 150 – 400 |
DGE, Ernährungsbericht 2004, 2008, 2012
Abwechslungsreich und farbenfroh
Eine hohe Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen über pflanzliche Lebensmittel reduziert das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, einige Krebsarten sowie weitere Krankheiten. Auch wenn für keinen einzelnen sekundären Pflanzenstoff eine Aussage möglich ist, dass dieser für sich alleine das Krankheitsrisiko senkt, ist die positive Wirkung einer pflanzenbetonten Kost unumstritten. Daher wird auch von Nahrungsergänzungsmitteln mit isolierten sekundären Pflanzenstoffen abgeraten. Über pflanzliche Lebensmittel nehmen wir mehrere Tausend unterschiedliche sekundäre Pflanzenstoffe auf. Zudem ist für die gesundheitsfördernde Wirkung möglicherweise die Aufnahme von verschiedenen Pflanzenstoffen im Verbund eines Lebensmittels notwendig. Daher ist es empfehlenswert, sich abwechslungsreich und bunt mit saisonalem Gemüse und Obst zu ernähren, sowohl roh als auch gegart. Außerdem lohnt es sich reichlich Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen und Kartoffeln in den Speiseplan zu integrieren.
Rezepte
Bärlauchsalat mit Champignons
Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten
Für 4 Portionen
Zutaten:
150 g Bärlauch
200 g Steinchampignons
100 g Schafskäse
50 g Walnüsse
Für die Soße:
1 Knoblauchzehe
½ Tl Vollmeersalz
2 El Olivenöl, nativ und kaltgepresst
2 El Weißweinessig
½ Zitrone, ausgepresst
1 El Balsamessig
1 Tl Senf
¼ Tl Pfeffer, frisch gemahlen
Zubereitung:
- Für die Soße die Knoblauchzehe fein würfeln, mit wenig Vollmeersalz verreiben und mit dem Olivenöl mischen. Mit den restlichen Zutaten zu einer Soße verrühren.
- Bärlauch waschen, abtropfen lassen und in schmale Streifen schneiden. Champignons säubern, halbieren und in dünne Streifen schneiden. Den Schafskäse fein würfeln.
- Walnüsse grob hacken und in einer Pfanne ohne Fett leicht anrösten.
- Bärlauch, Champignons und Schafskäse mit der Soße vermischen. Salat abschmecken und mit gerösteten Walnüssen bestreut servieren.
Tipp: Dieser Salat kann auch mit frischem Spinat oder Löwenzahnblättern zubereitet werden. Wer Bärlauch in der freien Natur sammelt, sollte jeweils nur einige Blätter pro Pflanze ernten und bereits blühende Pflanzen stehen lassen. So kann sich die Pflanze bis zum nächsten Jahr wieder erholen.
Möhrensalat mit Sonnenblumensprossen
Zubereitungszeit: ca. 30 Minuten
für 4 Portionen
Zutaten:
300 g Möhren
1 gr. Apfel
40 g Lauch oder 1 Frühlingszwiebel
4 El Sonnenblumenkernsprossen
Für die Soße:
100 g Joghurt
2 El Sonnenblumenöl, nativ
1 El Erdnussmus
2 El Zitronensaft, frisch gepresst
Meersalz, Pfeffer
Zubereitung:
- Für die Soße Joghurt mit Sonnenblumenöl und Erdnussmus verrühren. Mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken.
- Sonnenblumensprossen unter fließendem Wasser spülen und abtropfen lassen.
- Möhren waschen, schälen und mit dem geputzten Apfel grob reiben. Lauch bzw. Frühlingszwiebel in feine Ringe schneiden.
- Möhren, Apfel und Sonnenblumensprossen mit der Soße vermischen, abschmecken und mit Lauchringen bestreut servieren.
Tipp: Für die Sprossen setzen Sie 3-4 Tage vorher 2 El Sonnenblumenkerne zum Keimen an. Zubereitungszeit: ca. 30 Minuten